Betreuung einer Lebensunfähigen - Wie helfen?

Guten Tag, liebe Urbianer.

In meinem Bekanntenkreis gibt es eine Frau (mittlerweile Anfang 30), die ich inzwischen als lebensunfähig einstufe.
*Sie lebte sehr lange Zuhause und musste sich um keine elementaren Sachen kümmern.*
Sie war die Tochter, die bis dahin ihrem Vater den Haushalt geführt hat. (Dieses geschah auf Ansage des Vaters, da ein Eigenantrieb schon damals nicht vorhanden war.) Nebenbei arbeitete sie als Aushilfskraft.
Die meiste Zeit hat sie Zuhause und auf ihrer Arbeitsstelle verbracht.

Vor ca. 3 Jahren zog sie zu ihrem Freund, der sie bis dahin jahrelang vertröstete mit ihr zusammen zu ziehen. Ihr Vater wollte sie nicht gehen lassen, da sie durch ihre Arbeit eine potentielle Geldquelle für ihn war...
Durch ihre massiven Probleme verließ sie ihre Arbeitsstelle aus Gesundheitlichen Gründen, da der mentale Druck ihr sehr zusetzte.
Vor 2 Jahren starb ihr Vater. (Die Mutter verstarb bereits am Anfang der Pubertät und war nicht durchgehend Teil der Familie)

Das Projekt Zusammen-Wohnen ging schief und mit der Hilfe meines Freundes und mir fand sie schließlich vor knapp einem Jahr eine bezahlbare Wohnung.
Während dieses Umzugs ging sie eine neue Beziehung ein.
Sie war mental noch gar nicht in ihrer ersten eigenen Wohnung angekommen, als eine ihrer Schwestern verstarb.

Die übrigen Angehörigen haben dieses Ableben derart ignoriert, so das die Bestattung und Nachlass-Abwicklung an ihr, beziehungsweise an uns hängen blieb...

Die neue Beziehung ist problematisch, da sämtliche Arbeiten an ihrem derzeitigen Freund hängen bleiben.
(Haushalt, Amtsgänge, Verträge, Kehrwoche und einkaufen... die Liste wäre noch um einiges länger...)
Der zuvor erwähnte fehlende Eigenantrieb ist hier ein großes Problem.
Inzwischen hat ihr neuer Freund eher die Rolle eines Betreuers übernommen und wird von außen auch so wahr genommen.

Und da sitzt vermutlich das Kernproblem:
Sie hat wenig bis überhaupt keine Kenntnisse darüber, wie das Leben an sich funktioniert.

Aussagen oder Fragen von ihr:
"Wozu gibt's denn Steuern?"
"Wieso kriege ich schon wieder Post?"
(Rechnungen, Behörden, ...)
"Warum muss ich daran halten?" (Gesetz)
"Ich will die alten Zeiten zurück!" (siehe Anfang und kurz vor Ende) *
"Wie geht denn E-Mail?"
"Warum muss ich mit einem PC umgehen können? Denn Scheiß brauch' ich nicht!"
"Wieso muss man das so machen?"
(Vorgehensweise bei der Wohnungssuche, oder Amtsabläufen)

Auch diese Liste ließe sich endlos fortsetzen...
Wir müssen ihr teilweise mehr als 5 mal hintereinander solche und andere Dinge erklären. Wenige Tage (teilweise auch Stunden) später fragt sie dasselbe erneut.
Wenn es um Kosten geht, die ihr Budget übersteigen, heißt es: "Das muss dann XXX (Freund) bezahlen." (wahlweise auch wir, oder andere...) "Das kann Xy übernehmen, Xy hat doch Geld."

Zum Thema Arbeit:
Sie hatte an verschiedenen Stellen als Aushilfe gearbeitet. Ihr Vater war im Ort Inhaber einer Gastronomie gewesen. Durch diese Kontakte konnte er ihr immer irgendwo Arbeit verschaffen. Allerdings war das Arbeitsverhältnis zu ihren Kollegen stets gespannt, da sie ihr nicht vorhandenes Selbstbewusstsein durch Agressionen ersetzte.
Diese Aggressionen ziehen sich mittlerweile durch sämtliche Bereiche ihres Lebens. Nichts und niemand ist vor ihren Wutausbrüchen (auch in körperlicher Form) sicher.

Vor ca. 3 Jahren wurde bei ihr eine mittelschwere Depressive Verstimmung diagnostiziert.
Sie versuchte in einer Tagesklinik, ihre Stimmungschwankungen in den Griff zu bekommen - Abbruch nach 2 Wochen.
Sie begann eine Gesprächstherapie - Abbruch nach einigen Monaten.
Sie sagt zwar, das sie Probleme hat, ist aber nicht bereit, sich in eine Therapie, oder ähnliches zu begeben.

Sie läuft derzeit unbehandelt, quasi blind durchs Leben:
Sie möchte Kontakt zu Personen, die nichts mehr mit ihr tun haben wollen bzw. zu denen sie kein Kontakt mehr möchte. Dabei vergisst sie, die Gründe des Kontaktabbruchs, bis es ihr plötzlich einfällt oder sie daran erinnert wurde.
"Xy ist so toll." ... Sekunden später: "Ich hasse Xy."
Dieses sprunghafte Verhalten nimmt immer weiter zu (auch in anderen Verhaltensweisen) und die Ausmaße werden immer verheerender.

Gleichzeitig beschimpft sie uns, (alle 3) die ihr doch helfen wollen. Sie fühlt sich dann fremdbestimmt und reagiert entsprechend bockig. (In diesen Momenten hat man eher den Eindruck mit einem 14jährigen Teenager zu sprechen.)
Sie will alles gleich und unverzüglich. Jeder hat sofort zu springen, wenn sie es will. Geduld ist ein Fremdwort.
Sie lebt über ihre Verhältnisse, beziehungsweise, ihr Verhältnis zu Geld und Werten ist für uns nicht nachvollziehbar.
Sie vergisst ihr Haustier zu versorgen. Ihr Freund kommt regelmäßig vorbei, um die Versorgung (für beide) sicherzustellen...
Um mit dem Anfang zu schließen:
*Sie war 30 Jahre lang Kind und wäre es wahrscheinlich am liebsten für immer.*
Es gibt noch viel viel mehr Baustellen...

Nun ist es so, dass uns allen (wir sind noch zu dritt) diese nicht vorgesehene Mehrbelastung an die Substanz geht.
Wir haben keine Ahnung, wie das weiter funktionieren soll... Jeder von uns hat ja auch noch ein eigenes Leben.

Für eure Antworten danke ich schon jetzt.

Liebe Grüße
Waagekind-Mama

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Mich würden noch zwei essentielle Fragen beschäftigen:
1. Welche Rolle hast du in dieser Beziehung bzw warum fühlst du dich so verantwortlich?
2. Hat sie eine Behinderung oder warum ist sie denn nicht "lebensfähig"?

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Da schließe ich mich mal an. Ich überlegte auch gleich, hat sie eine Behinderung, z.B. eine leichte geistige Behinderung? Da ist man oft ähnlich lebensunfähig und braucht Hilfe bei oben genannten Dingen.

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Hallo!

Es gibt auch eine psychische Behinderung, die würde ich hier eher vermuten:
Mutter starb in der Pubertät, Vater hat sie nicht erwachsen werden lassen... Dazu passen auch das geringe Selbstwertgefühl und die ständig wechselnden Arbeitsplätze.

Ich hab eine Schwester, die als psychisch behindert gilt. Sie wurde jahrelang durch meine Mutter betreut, die ihr in allen Lebenslagen Hilfte gegeben hat. Das hat aber meine Mutter und v.A. auch die Beziehung meiner Mutter zu meiner Schwester auf Dauer kaputt gemacht. Darum hat sie jetzt schon seit Jahren eine gesetzliche Betreuung und eine Wohnbetreuung. Außerdem arbeitet sie in einer Einrichtung für Menschen mit einer psychischen Behinderung. Sie lebt dadurch zwar nur von Grundsicherung, kommt dadurch aber in ihrer eigenen Wohnung gut klar.

LG

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Bin ich die einzige, die es bei der Bezeichnung 'Lebensunfähigen' schüttelt? Kein Mensch ist lebensunfähig. Einige mögen Hilfe benötigen, in welcher Hinsicht auch immer, aber das gibt doch niemandem das Recht, einen anderen derart herabzuwürdigen.

Davon abgesehen könntest dich natürlich an das Betreuungsgericht wenden, wenn du der Meinung bist, deine Bekannte wäre nicht in der Lage, ihr Leben alleine zu regeln und zu einer Gefahr für sich selbst oder andere wird. Manchmal ist eine gesetzlich (zeitlich begrenzte) angeordnete Betreuung der richtige und/oder einzige Weg, jemandem zu helfen.

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Ich empfinde das auch als unpassend, zumal das mit keinem Wort erklärt wurde. Wie man sich das Recht nimmt, jemanden so zu betiteln ohne Grundlage, finde ich auch anmaßend.

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Hallo Ridvana.

Meine Begriffswahl mag nicht treffend oder gar übertrieben sein, aber besser kann ich ihr Verhalten leider nicht beschreiben.

Der Weg über das Betreuungsgericht hört sich erst einmal gut an.
Kannst du mir auch sagen, wie dabei vorgegangen werden muss?

Liebe Grüße
Waagekind-Mama

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Hallo,

ich empfehle dir einen Termin beim Sozialpsychiatrischen Dienst in eurer Nähe. Die beraten Betroffene, aber eben auch Angehörige (damit seid ihr ja vergleichbar), und unterstützen aber auch bei Behördengängen / bei der Strukturierung des Alltags etc.

Das Betreuungsgericht z. B. bräuchte auch ein Gutachten oder eine Stellungnahme eben einer solchen oder ähnlichen Stelle.

Bearbeitet von OctoberRain
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Hallo OctoberRain.

Das auch mitbetroffene dort beraten werden, klingt auch schon mal hilfreich.
Danke dafür.
Liebe Grüße
Waagekind-Mama

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Hallo,

Da scheint "Ambulant Betreutes Wohnen" die richtige Hilfe zu sein. Google mal nach Anbietern in eurer Nähe.

LG m.

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Hallo xmarcix.

Das wäre auch eine Möglichkeit.
Daran hatten wir auch gedacht.

Nur könnte es Problematisch werden, wenn eine für sie fremde Person Entscheidungen trifft, oder Ansagen macht, die ihr nicht zu sagen. Da sehe ich eine Menge Eskalationspotenzial...

Ihre Einsicht und Mitarbeit ist dabei erforderlich und die ist eher schwankend.

Liebe Grüße
Waagekind-Mama

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Wie funktioniert denn das bei euch?

Mit den Betreuern ist das irgendwann nix anderes. Auch die lernt sie gut kennen und in der Regel werden gemeinsam Entscheidungen getroffen.

Für diesen Bereich kann euch der Sozialpsychiatrische Dienst ebenfalls weiterhelfen.

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Das klingt fast 1:1 nach meiner jüngeren Schwester. Sie hat eine geistige Behinderung. Wutausbrüche, Selbstmitleid, Nicht–Anerkennung von Regeln/Gesetzen/gesellschaftlichen Normen bzw. Gepflogenheiten/verweigert jegliche Ratschläge….das trifft alles zu. Sie hat keinen Führerschein, keinen Job und ihr Freund managt und Zahlt ihr ganzes Leben.

Leider ist es so, dass man da nicht allzu viel Handhabe hat. Meine Eltern waren eine Zeit lang ihre gesetzlichen Betreuer, sie fühlt sich bevormundet und auch einen vom Gericht gestellten Betreuer wurde sie los. Da sie sich vehement weigert, zu einer Beratungsstelle zu gehen und/oder ein Gutachten erstellen zu lassen, können wir nicht viel tun. Aus einem betreuten Wohnen zog sie nach kurzer Zeit aus, Job–und Weiterbildungsangebote nimmt sie nicht an obwohl diese genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind („ich geh nicht in eine Behindertenwerkstatt, ich bin nicht so!“) aber fordert unser aller Unterstützung wenn sie es will.

So hart es klingt: du kannst nichts tun außer auf Einsicht hoffen. Geht zu einer Beratungsstelle (Caritas bspw), konsultiert den Hausarzt…diese können euch an andere Stellen verweisen, um die nötige Hilfe zu bekommen. Das setzt aber alles die Kooperation eurer Freundin voraus und wenn sie nicht will und aktuell keine Gefahr für sich oder andere darstellt, könnt ihr leider nichts tun.

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Hallo Lenamaus 92.

Wir haben mittlerweile mitbekommen, dass sie nur unregelmäßig etwas zu sich nimmt. Sie beklagt sich über unwohl sein - kein Wunder bei der Ernährungsweise.
Allerdings sieht sie den Fehler nicht bei sich, trotz Erklärung und fühlt sich dann unverstanden....
Würde das auch unter Selbstgefähdung fallen?

LG
Waagekind-Mama

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Hallo Waagekind–Mama,

Prinzipiell gilt eine Essstörung als Selbstgefährdung, Ja. Es ist nur die Frage, ob tatsächlich eine schwerwiegende Essstörung vorliegt. Diese muss auch offiziell diagnostiziert werden, das ist meiner Erfahrung nach schon die erste Hürde.

Meine Schwester bspw ist adipös. Wir kennen ihr exaktes Gewicht nicht, aber bei ca 1,50m Größe und Kleidergröße 54 (beim Blick in ihre Jacke gesehen, sie spricht darüber nicht) ist das Gewicht definitiv ungesund, das sieht man aber auch ohne Maße zu kennen. Sie kann auch nicht mehr als 10–20m am Stück laufen ohne zu schnaufen und Pause zu machen, wir sehen ja auch welche Mengen sie bei Essenseinladungen in sich hinein schaufelt und dass sie auch einfach das falsche isst. unserer Meinung nach wird so der erste Herz–oder Schlaganfall nicht mehr lange auf sich warten lassen und sie bräuchte dringend eine Ernährungsberatung, eine Kur, etc. Aber wir wissen weder wer ihr behandelnder Arzt ist (ihr O–Ton „mein Arzt sagt, ich bin gesund! Das geht Euch nichts an“) und bekommen das auch nicht aus ihr heraus. Also sind uns leider die Hände gebunden. Allerdings wird starkes Übergewicht auch nicht als akut lebensgefährdend eingestuft, Magersucht hingegen schon, da bei ohnehin schon starkem Untergewicht jede weitere Hungerperiode, jedes Magen–Darm–Virus, etc. eine rasante Verschlechterung bedeuten kann. Da kommt es bspw zu Organversagen.
Da müsstest du dich aber selbst mal tiefer einlesen oder bei entsprechenden Stellen informieren, wie das bei Magersucht bzgl Zwangseinweisung gehandhabt wird.

LG

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Ich glaube viel machen kannst du da nicht. Sie hat keine Diagnose die eine Betreuung rechtfertigen würde und sie will anscheinend auch nicht fremdbestimmt werden.

Mein Bruder ist sehr ähnlich. Ich habe mich da vor Jahren auch informiert, aber das ist im Sande verlaufen. Vieles gehört in den Bereich: Lebensrisiko.

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Sie hat NOCH keine Diagnose, die hier geschilderten "Befunde" können aber - wenn sie entsprechend Fachärztlich erhoben werden, zu einer Diagnose führen. Und dann ist auch eine Betreuung gerechtfertigt.
Aber da muss sich jemand hinter klemmen. Die Betroffenen nehmen in den seltensten Fällen selber Kontakt zu Beratungsstellen auf. I.d.R. wird das entweder von einer Klinik veranlasst oder oftmals von den Eltern, die sich nicht mehr in der Lage sehen, für ihr volljähriges Kind eine derartige Betreuung zu leisten (oder die Probleme nicht sehen - auch so etwas gibt es ja).

LG

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Hallo Dentatus 77.

Die Eltern gibt es ja nicht mehr.
Die übrigen Angehörigen kümmert es nicht, was mit ihr los ist.

LG
Waagekind-Mama

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