Völkerball - ist das noch zeitgemäß?

Wir hatten das Thema gerade beim Frühstück.
Morgen ist keine reguläre Schule, sondern den ganzen Schultag Völkerballturnier. Meine Grundschülerin ist dabei in Tränen ausgebrochen und ich kann sie gut verstehen.

Jede Kindertageseinrichtung unserer Stadt ist verpflichtet bis Ende des Jahres ein Schutzkonzept zu erarbeiten.
Dabei geht es nicht nur, wie ich dachte, um Kindeswohlgefährdung SGB 8 Par. 8a.
In den letzten Wochen gab es dazu viele Fortbildungen. Es fielen Begriffe wie emotionale und psychische Gewalt, Adultismus, bedürfnisorientierte Erziehung.
Alles sehr spannend!

Wir haben auch zuhause viel darüber gesprochen. Wie war das in unserer Kindheit? Was läuft gut, was können wir verbessern?

Und dann sitzt meine Große am Frühstückstisch und weint, weil morgen Völkerballturnier ist. Wir Eltern konnten ihre Gefühle gut verstehen und haben ihr das auch so gesagt.
Aber da war dieser kleine Zweifel… Können wir sie morgen einfach zuhause lassen? Muss sie da nicht durch? Muss sie nicht auch lernen mal unangenehme Situationen auszuhalten? Vielleicht hat sie ja morgen doch Spaß?
Das Leben ist kein Ponyhof!

Wie hättet ihr entschieden? Welche Erinnerungen, Gefühle kommen bei euch hoch, wenn ihr an Völkerball im Schulsport denkt?

Ich bin gespannt auf eure Meinungen 🤗

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Hallo,

ich kann deine Bedenken total nachvollziehen. Ein kleiner Erfahrungsbericht: Ich wurde in der Schulzeit gemobbt, hatte kaum Freunde und mir ging es phasenweise psychisch sehr schlecht. Meine Mutter wusste das alles, tat aber in meinen Augen nicht viel dagegen - ich mache ihr da keinen Vorwurf, zu der Zeit war das Bewusstsein bei Eltern und Lehrern bestimmt noch nicht so ausgeprägt.

Umso schöner finde ich es, dass du die Sorgen deiner Tochter ernst nimmst.

Insbesondere Sport war für mich schlimm - ich wurde prinzipiell als letzte gewählt, dann war es eine Zumutung mich im Team zu haben und das haben alle laut kund getan. Ich habe es innerlich immer gefeiert, wenn einfach 1 - 2 durchgezählt und die Teams so festgelegt wurden. Mit solchen unaufwändigen Maßnahmen hätte man mir die Schulstunde erleichtern können.

Ich konnte Bälle nicht so gut fangen und werfen, war sonst aber sportlich und sehr geschickt - ich wurde oft als letzte abgeschossen weil ich flink ausweichen konnte, dann konnte ich mein Team beim Völkerball aber nicht wieder retten, weil ich einfach nicht fangen und abwerfen konnte. Da waren natürlich alle enttäuscht von mir. Dieses Spiel war also für mich der Horror. Bei einem Turnier den ganzen Tag hätte ich mich sehr über das Verständnis meiner Mutter gefreut und wäre gerne daheim geblieben, sodass mir diese Situationen erspart bleiben.

Das Thema "unangenehme Situationen gehören dazu" sehe ich SEHR zwiegespalten. Wenn es um die Mathe HÜ geht, mit dem Thema das gar keinen Spaß macht - ok, klar, das gehört dazu, Augen zu und durch! Früh aufstehen schmeckt gar nicht? Tja, das muss eben sein.
Mobbing ist aber keine unangenehme Situation - das ist eine ernsthafte psychische Belastung, die lange Folgen haben kann und sollte absolut ernst genommen werden. Ich musste lange an meinem Selbstwertgefühl arbeiten und habe noch immer Probleme damit für mich einzustehen.

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Danke für deinen Erfahrungsbericht 🤗

Ich frage mich da eben auch welche Erfahrung wichtiger ist - einen Schulsportwettbewerb überlebt man ODER meine Sorgen und Ängste werden ernst genommen und die Menschen die mir am Nächsten stehen sind auf meiner Seite.

Bearbeitet von beerle
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Ganz genauso ging es mir beim Völkerball auch. Fangen konnte ich nicht, werfen konnte ich nicht. Aber ich hatte so viel Angst vor dem Ball, dass ich nie getroffen wurden und dann alleine übrig blieb...

Und zum Thema Angst vor dem Ball: Da finde ich tatsächlich, dass Völkerball kein wirklich schöner Sport ist. Es tut schlichtweg weh, abgeworfen zu werden! Ich kann mich da auch gut an blaue Flecken erinnern, weil wieder ein Junge viel zu hart geworfen hatte. Wenn jemand sich das freiwillig antun möchte - bitte. Aber ein Kind zu so etwas zwingen - ich weiß nicht. Mathe tut nicht weh, Früh aufstehen auch nicht. Auch ein Sprint bei den Bundesjugendspielen (die ich auch immer gehasst hab) tut nicht weh. Da kann man sagen, da musst Du durch. Und es gibt auch Sachen, die weh tun, aber einen Sinn machen (ich denk da an medizinische Behandlungen) - die haben aber einen langfristigen Nutzen. Den sehe ich jetzt beim Völkerball auch nicht.
Aber vielleicht kann hier ja mal jemand schreiben, was daran toll sein soll.

LG

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Ich kenne die psychische Disposition eurer Tochter nicht, für einigermassen stabile Persönlichkeiten ist Völkerball aus meiner Sicht absolut zumutbar. Wenn die psychische Disposition es nicht zulassen sollte, würde ich anstatt einfach krank schreiben auch über psychologische Hilfe nachdenken, denn dann dürfte der Leidensdruck ja recht erheblich sein. Kein Bock wäre aus meiner Sicht kein Grund. Andere haben keinen Bock auf Französischunterricht oder Mathe, grundsätzlich gilt ja Schulpflicht.

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Weil sie ein Spiel, das Mobbingtendenzen fördert, ablehnt hat mein Kind psychische Probleme?

Vielleicht hat sie aber auch gelernt ihre Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und ihre Grenzen (und die anderer) zu achten und dieses Spiel fühlt sich für sie falsch an?

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"Vielleicht hat sie aber auch gelernt ihre Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und ihre Grenzen (und die anderer) zu achten und dieses Spiel fühlt sich für sie falsch an?"

Ja! Schade, dass das immer noch erwähnt werden muss... da hat unsere Gesellschaft noch einiges zu lernen.

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Hallo,

kurz vorweg: ich bin bisher ( mein Kind ist aber erst drei) der Auffassung, dass ein Kind nicht durch alles durchmuss, die Eltern und das Zuhause ein Safe Space sein sollten und Kinder daher auch einfach mal Zuhause bleiben können, wenn es ihnen nicht gut geht. Und dazu zähle ich eben auch emotionale Befindlichkeit.

Ernstgemeinte Frage: Was ist das Problem mit Völkerball?
Ich fand Sporttage in der Schule früher super und dachte bis gerade, das macht den Kindern mehr Spaß als normaler Unterricht 🫣

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Sehe ich auch so.
Würde mein Kind in so ner Sache zuhause lassen, wenn es an so etwas nicht teilnehmen will. Das hat ja auch jeder selbst in der Hand.

Man muss aber auch sagen, dass sich bestimmt sehr viele Kinder auf so einen Tag freuen. Also finde ich es ingesamt gut, dass so eine Veranstaltung durchgeführt wird. Wegen ein paar wenigen, allen den Spaß verderben. Nein.

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Wenn man ein zartes, dünnes Mädchen ist und von einem Jungen mit voller Wucht einen Ball gegen den Körper geworfen bekommt, tut das verdammt weh. DAS ist das Problem beim Völkerball - hier ist ja das Ziel, dass man sich gegenseitig abwirft, was natürlich nur geht, wenn man mit der entsprechenden Kraft wirft...

Und ansonsten kann ich nur Wikipedia zitieren:
"Das Völkerballspiel entstand nach Warwitz und Rudolf aus einem rituellen Kriegsspiel:[1] Der ursprüngliche Spielgedanke symbolisiert die Schlacht zwischen zwei Völkern, die sich unter ihren Königen in einem Vernichtungskrieg gegenüberstehen. Die abgegrenzten Spielfelder (der Kampfplatz) sind die Territorien. Der Ball ist die Angriffswaffe. Jeder Treffer eines gegnerischen Spielers markiert einen Gefallenen, der aus dem Spielgeschehen ausscheiden muss. Als Gegenwehr stehen den Verteidigern nur das Ausweichen vor den Schüssen oder das Auffangen und damit Unschädlichmachen des Schusses zur Verfügung. Damit verändert sich der Schlachtablauf, indem die Verteidiger zu den Angreifern werden, bis der Ball wieder verloren geht. Das Spiel (die Schlacht) endet mit der vollständigen Vernichtung eines der beiden Völker.
und
"Einige Sportpädagogen vertreten die Ansicht, dass Völkerball nicht für den Sportunterricht geeignet sei, weil das Spiel ein Kriegsszenario darstelle, bei dem der Ball als Angriffswaffe gegen eine gegnerische Gruppe gesehen werden könnte. Spielziel sei, andere zu treffen, wobei es auch zu Verletzungen kommen könnte. Insbesondere Wehrlose, Minderheiten und Schwache könnten so Ziel aggressiven Verhaltens werden und es bestehe die Gefahr von Mobbing."

Darum stellt sich mir die Frage, warum man nicht andere Ballspielarten mehr trainieren kann. Wir haben früher auch gerne Brennball gespielt, das ist deutlich harmloser. Oder was ist mit klassischen Ballsportarten: Fußball, Handball, Volleyball, Basketball... Das alles kann man auch in der Grundschule schon unterrichten (Der Volleyballverein unserer Tochter fängt mit 7-8jährigen an, Meisternschaften werden ab U11 ausgespielt) - passiert aber in den wenigsten Fällen. Da frag ich mich, warum???

LG

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Schulsport war die Hölle und die Note hat mir regelmäßig das Zeugnis versaut.

Ich bin unsportlich und im Erwachsenenalter hat sich herausgestellt, dass ich noch nicht mal was dafür kann, da mein Körper "kaputt" ist. Knochen irgendwie verformt, Muskeln nicht richtig ausgebildet und alles passt nicht so zusammen. Skoliose hab ich auch. Allerdings bin ich trotzdem schlank.

Ich habe es so gehasst. Immer als Letzte gewählt, bei den Bundesjugendspielen in der Liste immer ganz unten. Das hat mich wahnsinnig demotiviert.

Mittlerweile geh ich dreimal die Woche auf den Crosstrainer und arbeite an meiner Kondition. Das klappt ganz gut und ich bekomm das ziemlich gut hin.

Schwer heben werde ich nie können und schnell rennen auch nicht, aber was soll's. Schulzeit ist vorbei und ich vermisse es definitiv nicht.

Ich kann deine Tochter sehr gut verstehen.

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Es tut mir leid, dass du diese Erfahrung machen musstest.
Du bist nicht die Einzige der es so geht. Das sieht man ja alleine schon daran, dass du die meisten Herzen im Thread bekommen hast.

Ich wünschte mir, diese Erfahrung müsste kein Kind mehr machen. Vielleicht ist es bei unseren Enkeln dann so weit…

Bearbeitet von beerle
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Ich hab Schulsport nie gemocht, konnte aber immer einigermaßen mithalten. So auch beim Völkerball. Spaß macht es nicht, unter Beschuss zu stehen, aber wenigstens gab es keine Noten, also war es auch nicht soo schlimm. Die Gruppendynamik war beim Sport immer okay, also den Kindern war's eh egal wer gewonnen hat.

Was ist für dein Kind denn das schlimme daran?

Von der Frage "ist Völkerball noch zeitgemäß" komme ich schnell zu "ist Sportunterricht mit Zwang und Noten noch zeitgemäß" und dann zu "ist unser Schulsystem noch zeitgemäß". Ich würde alles mit einem klaren Nein beantworten.

Aber wenn man jetzt nicht das ganze Schulsystem umkrempeln will, meine Meinung zum Sport: Sportunterricht soll Kindern Sport näherbringen und zu einer sportlich aktiveren und gesünderen Gesellschaft beitragen. Das Ziel wird meiner Meinung nach verfehlt. Einerseits müssten die Noten weg und andererseits (wir hatten das in der Oberstufe des Gymnasiums), müsste man zwischen verschiedenen Angeboten wählen können. Nicht jedem liegt jeder Sport und wenn man trotzdem dazu gezwungen wird, wird man Sport dadurch nicht lieber mögen.
Wenn man aber in der Schule z.B. im Verlauf des Jahres Fußball, Tanzen, Calisthenics oder Akrobatik, Tischtennis, Fahrradfahren, Handball oder Volleyball, Schwimmen und Yoga anbieten würde, stufenübergreifend und ohne Noten, fände ich persönlich das viel besser. Wenn alles nur ein Halbjahr angeboten wird, wechselt jeder mal durch und man braucht immer ca. 4 Angebote parallel. Meinetwegen kann man Schwimmen und Radfahren verpflichtend machen, da geht's ja auch um Sicherheit.

Bearbeitet von Memory
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Ich würde jetzt nicht sofort das ganze Schulsystem, das ich auch nicht mehr zeitgemäß finde, umkrempeln, aber ich finde an so kleine Stellschrauben wie einem Völkerbalturnier kann man durchaus ansetzen.

Deinen Vorschlag wie man Schulsport umsetzen könnte finde ich super!

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Bei uns gab es das in der Oberstufe auch- mit Noten, allerdings nur alle Varianten von Ballsportarten und Aerobic. So einen Blödsinn kann man sich dann auch schenken, weil es viel zu einseitig ist.

Richtig Radfahren im Verkehr (also nicht verkehrsuntaugliche Rennräder über die Landstraße jagen) und schwimmen finde ich tipptopp (allein wie viele Leute nur Alte-Leute Schwimmen beherrschen)
und mehr über Ernährung und überhaupt Gesundheit etc. könnte man einbauen, anstatt wer trifft wie oft das Tor…

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Hallo,

versteh das Problem irgendwie noch nicht..? Hat sie Angst vor dem Ball? Vor (bestimmten) Mitschülern?

Ich habe Völkerball und Co (und Schulsport allgemein) in sehr guter Erinnerung. Es waren die besten 2 Stunden in der Schulwoche.

Ich gehöre nicht zu den Erwachsenen, die sagen "Oooh in der Schule war alles besser/schöner/cooler" Nein, nein, niemals würde ich freiwillig wieder zur Schule gehen. Auch ein Studium wird kategorisch ausgeschlossen. Aber der Sport hat (meistens) Spaß gemacht. :-)

Abschließend bin ich der Meinung, dass Kinder auch mal Dinge tun müssen, auf die sie keine Lust haben. Auch wir Erwachsenen müssen das. Ich sitze gerade zB im Büro und gucke sehnsüchtig nach draußen.. die Sonne scheint, meine Katzen warten Zuhause auf mich.. ich hätte echt schönere Pläne für diesen sonnigen Tag :-) Aber was muss, das muss.

Liebe Grüße

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hallo, deinen letzten Absatz kann ich voll und ganz nachvollziehen. Es kann nicht jeder alles mögen, kann auch niemand verlangen. aber man kann es mitmachen, und ich finde, dass sie ein Sport in oder Gruppe das Miteinander fördert . Ich möchte Völkerball auch nicht besonders, aber man macht es mit, ist doch nicht schlimm, ich möchte auch keine Sportfeste, die im Schwimmbad abgehalten wurden, aber mir wär nie eingefallen, zu sagen, dass ich da nicht hin will

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Was für ein Problem hat deine Tochter denn damit?

Hat sie Angst vor den Bällen, vorm abgeworfen werden? Wird sie geärgert weil sie nicht so gut fangen kann oder werfen?

Bei uns war im Winter ein Völkerball turnier und die Kinder aus der Klasse haben sich, sofern sie Zeit hatten, an einem Tag sogar extra zum trainieren getroffen.
Unsere Klasse hat sogar gewonnen und die Kinder waren super stolz.
Mein Sohn ist an sich etwas empfindlich wenn er sich wehtut und weint dann auch schnell, aber auch für ihn war das jetzt kein Problem, er war super stolz weil er einen Ball fangen konnte .

Allerdings haben wir auch großes Glück mit der Klasse, es gibt dort keine Probleme unter den Schülern (also abgesehen von normalen Streitigkeiten , die immer mal auftreten.)

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Was mag denn deine Tochter am Völkerball nicht?

Völkerball find ich ehrlich gesagt noch harmlos. Und ja, einen Schultag Völkerball kann man aushalten. Da würd ich sagen, muss sie durch. Unangenehme Situationen muss man aushalten lernen. Gilt natürlich nicht für alles, aber in dem Fall würd ich sagen, Augen zu und durch. Ernstnehmen und Verständnis zeigen ist wichtig, aber das macht ihr ja.

Schulsport war auch nicht gerade mein Lieblingsfach, und vor allem die Bundesjugendspiele hab ich gehasst.

Versucht ihr die positiven Seiten eines solchen Schultages darzulegen, ermuntert sie, vielleicht wird es ja gar nicht so schlim wie sie denkt?

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Willst du sie dann jedes Jahr am Turniertag zu Hause lassen?
Das fällt dann irgendwann schon auf...
Hier ist es bspw am Gym üblich, dass jede Jahrgangsstufe ein Turnier hat - jedes Jahr halt eine andere Sportart...

Völkerball selber fand ich immer gut und meine Kids auch ( 16+10).
Unser Sohn wartet immer bis jemand wirft und duckt sich dann😉

Was ich blöd fand, war sowas wie Handball wenn dann in der gegnerischen Mannschaft welche waren, die das in der Freizeit spielten gegen die man keine Chance hatte- das macht halt wenig spaß wenn man vorher weiß wer gewinnt.


Bundesjugendspiele stehen ja aktuell im Umbruch - was ich gut finde, denn da spielt auch noch das Wetter mit rein und ich finde keiner muss bei 30 Grad sowas absolvieren...Unsere Tochter hat sich dabei damals einen Sonnenstich geholt und war einige Tage krank...das braucht keiner ...